Märzfest

Egal ob Wetter, Launen, Trends oder Wasser: Die Welt geschieht in Wellen. Alles pulsiert, dreht und wendet sich vorzu, von der planetaren Gesamtsituation bishin zu den kleinsten Teilchen. Oder, um es als klassische Kühlschrankpostkarte zu sagen: «Das einzig Beständige ist der Wandel.» Das wusste der griechische Philosoph Heraklit bereits 500 v. Chr. und es stimmt wohl wirklich immer noch. Nur schon wegen dieser übergeordneten Tatsache – und wegen der Menschenfeindlichkeit sowieso – sind rechts-konservative Weltbilder Quatsch. Diese fussen nämlich immer darauf, dass alles seinen vorbestimmten festen Platz hat, alles in geraden und ordentlichen Bahnen verlaufen muss, jede Lebensform vorherseh- und beherrschbar ist. Arm, Reich, «Wir», «Die», unten, oben, Mann, Frau. So wie früher! Das Motto: Schaff und erwirb, reproduziere und stirb und masse dir ja nicht an, zwischendurch komische Fantasien zu haben. Aber genug davon. Hier kommt die Gegenthese. Her mit den rhythmischen Wellen, dem Verspielten und Lustigen, dem Chaos, der Überraschung, dem Geheimnis und der ewigen Veränderung. Lebendigsein ist ein Zufall und ein Wunder und es wäre Vergeudung, es in pessimistischen Wellen ersäufen zu lassen. Wir wollen eure aufgeräumten Welt- und Stadtbilder nicht, wir haben unsere eigenen. Hinaus in den Frühling, hinaus ins Märzfest und in die grosse Gegenthese zum grassierenden Sumpf!

Armand Hammer (US)
Cruise Ship Misery (CH)
Divide And Dissolve (AU)
DJ Haram (DJ, US)
Elias Rønnenfelt (DK)
ETO (CH)
Kæry Ann (IT)
Milian Mori (CH)
NikNak (DJ, UK)
Norbert Möslang (CH)
Sami Galbi (CH/MA)
Tatum Rush (CH/US)

Festival Alternatif Indie

Voir site officiel

vendredi 27 mars 2026 - samedi 28 mars 2026

Organisé par: Palace
Märzfest

Märzfest: Freitag

Palace

Norbert Möslang (CH)

Störfaktorischer Auftakt: Norbert Möslang knackt die elektronischen Alltagsgeräusche wieder in der Hütte!

Divide and Dissolve (AU)

Mit Divide And Dissolve wirds gewittrig am Märzfest, im besten Sinne natürlich. Die australische Doom-Metal-Band um Takiaya Reed erzählt (fast) wortlos Geschichten von Kolonialismus, Schmerz, systematischer Unterdrückung. Reed vermittelt durch ihre Arbeit eine Politik der Dekolonialisierung und schafft damit Visionen einer befreiten Zukunft. Dringlich, kompromisslos und direkt füllen Divide And Dissolve jegliche Räume bis in alle Fugen. Langsam und kraftvoll nähert sich die Doom-Drone. Eine dichte Wand, präzise gebaut aus Gitarren, Lärm, Drums bewegt sich unmittelbar durch Brust und Bauch und stürzt über uns herein. Wir bleiben aber nicht unter ihren Trümmern begraben. Sie reichen uns und all jenen, die tagtäglich von systematischer Unterdrückung betroffen sind, die Hand zur Selbstermächtigung. Divide And Dissolve vermitteln eben jene Gefühle, die mittels Worte vielleicht zu abstrakt wären. Diese Direktheit macht ihre Botschaft umso zugänglicher. Divide And Dissolve ist ein lauter Protest, unausweichlich durch brutale Ehrlichkeit.

Cruise Ship Misery (CH)

«Brutto Inland Netto Super Clean» ist nebst einer verwildernden Nebeneinanderreihung von Wörtern der Titel des Liederbuchs des Pop-Kollektives um Sarah Elena Müller. Die Autorin schreibt darin Kurzgeschichten über Imperfektionen und Selbstachtung, innere Gemütszustände und einen disruptiven Umgang damit. Dazu findet sich immer eine passende Illustration von Luca Schenardi und ein Liedtext von Bandkollegin Milena Krstić alias Milena Patagonia. Das Werk ist ein mediales Brimborium, büsst aber keineswegs an Relevanz ein. Zusammen mit Johannes Werner am Schlagzeug wird es live zu einer nüchtern-kritischen Auseinandersetzung, die die Aufmerksamkeit des Publikums völlig einzuziehen vermag. Dabei hallen die Texte nicht in einem pessimistischen Gewand nach, umhüllt vom Synthie-Pop folgt das multimediale Erlebnis einem erstrebenswerten Leitsatz, den der Kurzbeschrieb verrät: Je verhängnisvoller die Lage, desto nachdrücklicher wird das Unbehagen zur Party erhoben.

Elias Rønnenfelt (DK)

Americana muss nicht nach endlosen Highways und Cowboy-Romantik klingen. Vielleicht tragen europäische Städte, egal ob in der Ostschweiz oder in Skandinavien, ihre eigene Form von Staub, einfach kühler und nasser. Vielleicht lässt sich Americana genauso in Kopenhagen by night finden, in spiegelnden Regenpfützen, in Neonbuchstaben über geschlossenen Bars, im Fahrrad, das auf dem Nachhauseweg aufgegeben wurde. Und vielleicht ist genau das der Trick von Elias Rønnenfelt: Nostalgie funktioniert ortlos. Sie lässt sich in der Lunge spüren, wenn Wind vom Hafen bläst oder durch das Tal der Demut fegt, genauso wie auf der staubigen Landstrasse im Nirgendwo. Mit seiner Band Iceage hat er den Post-Punk zerfurcht und neu zusammengesetzt, mit seinem Soloprojekt legt er den Lärm neu aus. Seine Songs wandern durch Europa, durch Erinnerungen, durch emotionale Schlaglöcher. Sie wirken persönlich und lassen den Melodien immer viel Platz zum Wirken und Wachsen. Auf seinen beiden Alben «Heavy Glory» und «Speak Daggers» – die auf dem so das-ist-ja-wirklich-new-popmusic-verlässlichen Label Escho (unter anderem Smerz, Astrid Sonne, Fine, Molina) erschienen sind – zieht er in Liedern, die in Wohnzimmern, Kapellen, Zügen und Waldlichtungen entstanden sind, Linien zwischen Intimität und Überdruck. Die countryeske Form wird mit Ideen aus Pop, Punk, Trip-Hop und Dub immer verbreiterter und offener. Und im Zentrum bleibt der unverwechselbare Sog seiner rauen, hellen Baritonstimme.

Sami Galbi (CH/MA)

Es wird alles immer düsterer auf dieser Welt, das stimmt. Aber früher war eben auch nicht alles besser, ähm, wie auch immer – also raus aus dem Jammertal und zum Beispiel ist es doch einfach nur wunderbar, dass CH-Musik eben nichts mehr unbedingt mit Schweizer Musik zu tun haben muss; mit geschnitzten Kühen und ebenso kantig geschnitzten Mannsbildern. Sami Galbi aus Lausanne bewegt sich in der alternativen Westschweizer Musikszene, die schon länger breiter in die Welt hinausstrahlt, als das seligste Paléo-Publikum morgens um halb drei. Der Multiinstrumentalist treibt die traditionellen nordafrikanischen Musikstile Raï und Chaâbi durch seine Geräte und fertigt eine zeitgenössische, äusserst tanzbare Version dessen an, was er in seiner Kindheit auf der Strasse aufgeschnappt hat. Galbi ist beim grossartigen Label Les Disques Bongo Joe untergekommen und mittlerweile in ganz Europa unterwegs, schön, legt er in St.Gallen einen Zwischenstopp ein.

NikNak (DJ, UK)

Eine Subkategorie der «Turntablists» einzuberufen, um innerhalb der DJ-Szene jene, die mit Platten auflegen, von allen anderen zu unterscheiden, riecht erstmal nach nostalgischer Klassifizierung. Von vielen wird sie auch als solches vorangetrieben – das echte Handwerk, die Kunst und Skills. Sie ist aber auch eine Sprache des Undergrounds, eine Praxis der Rave-Kultur, gerade in den Tiefen der UK. NikNak ist fliessend in dieser Sprache und beinahe eine Turnübung, flippt sie ihre Hände über die Scheiben und Knöpfe und lässt dabei die grossen Dubstep-Hymnen, die dreckigsten Grime-Tracks und schnellsten Breakbeat-Songs erklingen. In ihren eigenen Produktionen erweitert sie den afrofuturistischen Kosmos und ist hier und da auf Line-Ups beispielsweise zusammen mit Loraine James zu finden. Aber Schluss mit den Namen und übergeordneten Themen. Dann und wann dürfen die Rewinds und das Scratchen reiner Clubtracks genossen werden – mit NikNak an den Turntables kommen da alle auf ihre Kosten.

Märzfest: Samstag

Palace

Kæry Ann (IT)

Lang und laut gezogene Gitarren, weicher Gesang, sphärisch dunkler Klangteppich. Verwurzelt im Psych und Dark Folk, nimmt Kæry Ann nach ihrem erfolgreichen Debütalbum «Songs of Grace and Ruin» (2023) immer mehr Einflüsse von Doom und Stoner auf. Für ihr neues Album Moonstone (Januar 2026), welches über das italienische Label Subsound Records veröffentlicht wird, ist so die Arbeit innerhalb und mit der Band wieder mehr in den Fokus gerückt. Zusammen haben die vier Musiker*innen dichtere und drängendere Klanglandschaften erkundet, deren Schwere und Trancehaftigkeit gut zu hören sind auf Tracks wie «Blue Eyes» oder «Desert Song». Die Band aus Rom erzählt mit ihrer Musik von Zartheit und Zerfall, vom Reiz im Bruch, vom Pendeln zwischen Helligkeit und Düsternis. Ein wunderbarer Start mit Gitarrenmusik in den zweiten Märzfesttag!

Tatum Rush (CH/US)

Geboren in San Diego, aufgewachsen im Tessin, wohnhaft in der Westschweiz und für die Arbeit zwischen Lausanne, Paris, Berlin und Mailand pendelnd – Tatum Rushs Umtriebigkeit ist auch in der Musik zu spüren. Leichtfüssig und facettenreich tragen uns die Songs durch elegante, kaleidoskopische Welten hinein in neue selbst geschaffene Sphären. Mal in voller Bandbesetzung, als Quartett oder – wie am Märzfest der Fall – im Duo, besucht uns Tatum an Gitarre und Gesang mit dem Kontrabassisten Ursin Andres in der gemütlichen Palace-Garage und präsentiert das neue Album «Lolito Ceresiacoi». Roh und ungeschliffen sagt Tatum Rush, prickelnd und berauschend finden wir. Tatum nimmt uns mit durch lange Nächte in verrauchten atmosphärischen Jazzclubs mit anschliessenden mediterranen Sonnenritualen im Morgengrauen. Dies alles geschieht mit einer verzaubernden Eleganz eines nicht-kitschigen Schnulzensängers, der verlorene Boleros aus Amerika in Disco-Chique-Manier singt. Das wird schön!

Tatum Rush (CH/US)

Armand Hammer (US)

Billy Woods schob letzten Mai, mir nichts, dir nichts, zwei Alben mit Allerbestnoten in die Best-New-Music-Schublade von Pitchfork. Und es gibt durchaus kompetente Menschen aus Fleisch und Blut, die öffentlich sagen, dass sie Woods für den besten Underground-Rapper der Welt halten. Anfang November schob dieser – auf Fotos stets sein Gesicht verdeckende – Wizard auch noch eine neue Platte zusammen mit Elucid unter dem Namen Armand Hammer nach. – Und wie wunderbar, dass sich die beiden höchst politischen Rapper den Namen eines Öl-Magnaten aneigneten, der scheints dreizehn Fabergé-Eier besass. Auf «Mercy» üben sich die beiden aber auch nicht in Zurückhaltung: Zu finden sind darauf u. a. Features von Earl Sweatshirt und Pink Siifu und für die Beats ist Alan Daniel Maman a.k.a. The Alchemist verantwortlich, der (gut zu wissen für deine Märzfest-Small-Talk-Skills) einen der Drake-Diss-Tracks von Kendrick Lamar produzierte. Und eben auch diese superpräzisen und feingliedrigen Sounds für Armand Hammer, Hammer!

Milian Mori (CH)

Milian Mori macht Musik für das Dritte im Zweidimensionalen. Wer bereits nach diesem Satz die alten Mathebücher und Physikskripts zur Hilfe holt, soll keine Urteile einstecken. Um Moris Produktionen zu beschreiben, kommt man nicht um ein paar Begriffe aus dem mathematischen Jargon herum. Sie sind geprägt von Wiederholungen, Unbekannten und Codes. Mal grätschen die Bässe wie Metronome von allen Seiten hinein, mal rollen sie wie ein Perpetuum mobile im Kreis, bis Mori sie per Knopfdruck aufhält. Seine Performances beanspruchen sämtliche Sinne, hinter ihm flirren Visuals im Takt und ziehen konsequent weiter, was die Musik übersetzt: Präzision, Kompromisslosigkeit und Regelhaftigkeit. Aber – bevor das nach Monotonie klingt – der St.Galler veröffentlichte unter all diesen Prämissen sein zweites Album «Triality» auf dem geschätzten Label Raster, tourt vor allem in Japan – nicht zuletzt, weil es da die gebogensten und grössten Screens gibt – und ziert jenes mit einer wahnsinnig sorgfältigen Selektion an Tracks, die nach der Zukunft klingen.

Milian Mori (CH)

ETO (CH)

Eine altbekannte Floskel von cis-männlichen Rappern, sich aus Sexismusvorwürfen rauszureden, ist: «Hip Hop ist ein Spiegel der Gesellschaft und die Gesellschaft ist nunmal sexistisch». Ein wiederum ebenfalls gängiger Vorwurf an nicht-cis-männliche Rappende: «Ihr werdet eh nur wegen Quote gebucht / Empowerment schön und gut, aber das macht noch keine gute Kunst […]» Beides wahnsinnig langweilig, kurzsichtig und ermüdend. Viel besser: Gute, spannende, energiegeladene, empowernde und zugleich In-die-Fresse(derer, die es verdient haben)-Ballernde-Musik von rappenden Tinfa*-Crews! ETO, formerly known as Etoclit, machen genau das. Und sie machen es sehr gut. Die Beats knallen, die Lines sitzen, die Liveshow so energetisch und schön, dass man vor Freude weinen oder brennen möchte, vorallem aber einfach ein Teil davon sein. Die fünf Musiker*innen aus Bern kennen sich schon lange, teilweise seit Grundschulzeiten. In verschiedenen Konstellationen haben sie zusammen Musik gehört, gesungen und Gitarre gespielt oder gerappt. «So richtig» angefangen zusammen Musik zu machen, haben sie im Sommer 2020. Seither sind diverse Singles und 2024 die EP «wägtribe» auf dem Label Forcefield Records erschienen. Label und Crew hängen eng zusammen und verfolgen die gleichen Ziele: Vernetzung von Tinfa*’s in der Musikszene, aware Räume, progressive, vielfältige Kunst. Oder, mit eigenen Worten aus der neuen Single feat. Big Zis: «Sprenge jedi Norm / Si beweglich wi Wächselstrom». Eine Grosse Freude, ETO am Märzfest begrüssen zu dürfen!

DJ Haram (DJ, US)

Manchmal kommt ja tatsächlich zusammen, was zusammenkommen muss: Billy Woods und Elucid (s. weiter vorne unter Armand Hammer) rappen auf dem Solo-Debüt von DJ Haram, das letzten Frühling erschienen ist. Schön, stehen die drei am selben Abend auf der Palace-Bühne! Haram vertont eine zur Gewalt neigende Gegenwart mit feiner Klinge: Diverse elektronische Musikstile und nahöstliche Instrumente werden von Zubeyda Muzeyyen zu einem gefährlichen Amalgam zusammengebaut. Tief in der Märzfestnacht spielt Haram, die sich selbst als anti-format-DJ bezeichnet, zwar «nur» ein DJ-Set, aber wer weiss, vielleicht liegen für Armand Hammer ja noch zwei Mikrofone herum.